Über ein Britney Spears Konzert (2018)

Britney Spears größte Hits hören, in Anwesenheit der Künstlerin, die währenddessen Sport macht, und sich immer wieder den Zopf richtet. Diese Art von Konzert-Alternative, die vielen Zuschauern zu guten Selfie-Möglichkeiten verhalf, fand am Montagabend in der ausverkauften Mercedes-Benz-Arena in Berlin statt. Spears macht dabei nicht irgendeinen Sport, sondern eine Art laufintensive Strip-Tease-Aerobic in zumeist schwarzer Reizwäsche. Die allermeisten Bewegungen kommen bei dieser eigenes von Spears erfundenen Sportart aus dem Oberkörper, wobei Anmutung und Haltung stark an die sogenannte Unter- oder Halbwelt erinnern. Wenn man schon in die Knie geht, muss man diese öffnen – ist eine von vielen Erkenntnissen, die man aus dem, in eher dunkeln Farben gehaltenen, Abend des Titels „Piece Of Me “ ziehen kann.

Die Bühne ist minimalistisch. Ein LED- Backdrop und eine LED ummantelte Bühnenerhebung, auf der die Band steht, welche die vielen klassischen, scheppernden Max-Martin-Beats der späten Neunziger in düstere, zeitgemäßere EDM-Beats übersetzet. „Baby One More Time“ und „Oops I Did It Again“ ihre ältesten, bekanntesten und gleichzeitig naivsten Hits, lässt Spears in einer Friedhofskulisse abspielen. Die männlichen Tänzer tragen die Sängerin immer wieder. Dazu tragen sie schwarze Korsagen. Die populäre Tanzmusik, die immer auch Sex meint, ist hier maximal entblößt. Sie sagt: Am Ende (Friedhof!) allen Pops, steht der Strip, die Reeperbahn, oder eben Las Vegas, für welches Spears diese Show einst konzipiert hatte. Eine Werkrückschau hatte sich Las Vegas wohl gewünscht, was Spears liefert aber ist mehr, es ist der Ansatz einer Werkauflösung. War Spears – also die Interpretin und ihre Musik als Gesamtes – mal ein Milchkaffee mit einer Sahne, die man nach Genuss für ewig an der Nasenpitze tragen wollte, ist „Piece of me“ nun schwarzer Kaffee, den sie hat stehen und kalt werden lassen. Sie serviert ihn bitter und reicht noch den Stummel einer aufgrauchten Zigarette dazu.

Wie erreicht sie das? Es ist der Kontrast aus einigen der größten Popsongs, der letzten 20 Jahre („Toxic“, „Crazy“ „Slave For You“) und maximaler Belanglosigkeit. Spears inszeniert sich so, man könnte sagen, uneitel, dass sie die Musik gleich mit weg inszeniert. Während man in einer riesigen Halle auf Wolken auf einer LED Wand starrt, vor der Stripper tanzen und dann mal Mal Flammen aufgehen, die wirken, als würde ihr Film, Spaers Zelluloid, bei der Aufführung vebrennen, gelingt es einem zu Vergessen, was man da gerade hört und wer da gerade steht. Die Kostüme bleiben für den überwiegenden Teil der Show Reizwäsche. Die Bühnenshow ist statisch. Ihr Tanz gut, aber nicht sehr gut. Es ist zu jederzeit offensichtlich, dass ihr Gesang von überallher kommt, nicht aber aus ihrem Mund. Aber das hat sie ohnehin selten getan. Live singen. Das ist nicht neu, nicht anders. Aber Britney Spears selbst gebärdet sich anders.

Ihr unbedingter Wille, ihr „X“, es ist nicht da, sie suhlt sich nicht auf der Bühne, sie macht dort sehr diszipliniert Sport. Ab und zu zieht sie die für sie so berühmten Grimassen. Karikiert damit die zum Sex auffordernden Lyrics, oder von die Grandiosität zeugenden Zeilen wie „I’m Miss American Dream since I was seventeen.“. Sie war – und ist es noch – eine Marke wie „Hubba Bubba“ oder „McDonalds“. Dahinter verbarg sich immer vor allem Ästhetik. Sie schien wie eine Figur, erfunden von David LaChappelle. Oder hatte Britney Spears David LaChappelle erfunden? Alles war rosa, es knallte, war nass und glatt. Bombast. Nun Nüchternheit. Allein im letzen Segment wird das Show eigenen Stripper-Thema etwas aufgeweicht, da ist ein Dschungel-Backdrop. Sie trägt grüne Reizwäsche, man erinnert sich an die Schlange, die sie sich einst um den Hals legte, die nie gefährlich wirkte, eher so gefährlich wie die Schlange Ka aus dem Dschungelbuch. Disney! All diese Bilder! Man hatte sie vor Minuten, in dem eindrücklichsten Moment der Show, noch gesehen, dem einer Interlude, in dem sich der Hintergrund in eine Wand aus stilisierten Röhrenbildschirmen verwandelte und zeigte was Spears mal war, wie sie in einem Flugzeug („Toxic“) das Telefon abnahm, wie sie in dem Glitzerstein besetzten Body auf dem Boden klopfte, um mit wehenden Haaren, im Profil „Ooo I did it again“ zu stöhnen.

Milliarden Menschen entdeckten so, dass Pop unerfüllte Sehnsüchte schafft und stillt, und wieder schafft und stillt, und dass genau dieses Perpetuum Mobile süchtig macht. Britney Spears war Sehnsucht nach Amerika. Nun ist Amerika ist Trump und Britney Spears, eine die ihren Mythos zu einem Mäusekino zusammenstaucht, wenn sie eine Show konzipiert, die auf dem Highlight ihrer Abwesenheit basiert, und dieses sehr Kleine in ein viel zu großese Venue wirft. Das Publikum schreit vor Freude, wenn die getragen wird, schreit vor Freude, wenn sie fast wie damals beim Tanzen auf den Boden klopft, aber mehr als, dass es schreit filmt und fotografiert es. Alls wollten mal ein „Piece“ von ihr – dieses ist übrig.

Nur zwei Mal spricht sie zum Publikum, in einer sehr hohen Stimme, kurz und eilig, weil kurz danach ihre eigene, dunklere, rauchigere Gesangsstimme vom Band wieder einsetzt. Ist sie es eigentlich wirklich? Will.I.Am erscheint auf dem Backdrop, er fordert „Bring the Action“. Die Aufforderung bleibt natürlich folgenlos. Einzig zum Song „Freak Show“ findet eine Publikumsinteraktion statt. Ein Gast darf wie ein Hund an einer Leine hinter und vor Spears auf dem Boden kriechen. Mit einer Peitsche bekommt er auf dem Po. In der ersten und letzten Zugabe „Til The World Ends“ bekommt Spears von einem der Tänzer minutenlang auf den Po. Das Publikum johlt. Das letzte Wort des regulären Sets aber hätte die Show besser geschlossen, es ist das ikonische „Stop“ aus „Crazy“. Danach wird es abrupt Dunkel. Die Darbietung von Musik soll in einem etwas regen. So ist es geplant. Wenn Tanzpop es schafft einen sehr traurig zu machen, ist das, das kann man nicht anders sagen, doch durchaus eine große Leistung.