Über Prinzessinnen

Ich habe mir gerade etwas Verrücktes ausgedacht. Stellen Sie sich vor, es gäbe ein paar wenige Männer auf dieser Welt, die, sobald man sie heiratet, gemeinsam mit ihrer Familie zu einer Art Job würden. Quasi: der Ehemann als Firma, invasiver als Google. Wie das gehen soll?

Also, alles beginnt damit, dass die Familie Ihnen erst mal Ihr Konto und Ihre Kreditkarte wegnimmt. Denn die Familie hat eine eigene Bank, und per Heirat bekommen Sie dann auch eine neue Kreditkarte – und sehr viel Geld. Aber es ist eben eine Familienbankkreditkarte. Die Großmutter Ihres Mannes kann nun theoretisch jederzeit nachschauen, was Sie so kaufen. In dem Moment, in dem Sie am reichsten sind, sind Sie also gleichzeitig am unfreiesten. Das ist schon ziemlich ironisch, aber es geht noch weiter.

Da Sie ja nun sehr viel Geld haben, brauchen Sie nicht mehr zu arbeiten. Das ist ganz nett. Aber ganz nebenbei, äh, dürfen Sie jetzt auch nicht mehr arbeiten. Denn die Familie Ihres Mannes verbietet es Ihnen. Die Regel lautet:

Keine Marken neben der Familienmarke!

Sie hatten da also dieses eigene Web-Magazin mit 150.000 Lesern? Vergessen Sie es, das können Sie nicht mehr weiterführen. Es wird vorsichtshalber gelöscht. Nicht, dass da noch was drinsteht, was Ihrer Schwiegergroßmutter nicht gefallen könnte. Alles, was bleibt, ist eine Seite mit einem Abschiedsbrief an Ihre Leser, der mit dem Hinweis „Zweifel nicht, du bist genug“ endet.
Sie hatten da noch eine weitere Karriere nebenher? Waren vielleicht Schauspielerin? Haben Gefühl und Mitgefühl in einer büroglatten Männerwelt voller kluger Anzüge gespielt? Ja? Vergessen Sie das Engagement. Schauspielerin können Sie jetzt nicht mehr sein. Also wenigstens nicht im Fernsehen. Aber die Rolle – da ist die Familie ganz gönnerhaft – können Sie behalten. Von nun an spielen Sie Gefühl und Mitgefühl einfach im echten Leben. Kritik dürfen Sie daran nicht äußern. Und ein Rollenwechsel ist natürlich auch nicht mehr drin.

Sie sind nun die Familie – ihr Wille sei Ihr Wille. Das Individuum ist nichts! Merken Sie sich das. Und ach, die Familie schreibt Ihnen natürlich auch vor, wo Sie wohnen. Auch wenn das in einem Land ist, das weit entfernt von dem Land Ihrer Familie und Freunde ist. Dass Sie für den Umzug Ihren altersschwachen Hund zurücklassen müssen, ist wirklich nur ein ganz kleines Detail am Rande.
Es muss Ihnen egal sein.
Wichtig ist, was die Familie sagt.

Das gilt im Übrigen auch für Ihre Kleidung. Denn Bildsprache ist jetzt Ihre Sprache. Sie werden von nun an viele Termine mit der Familie oder im Namen der Familie haben, und es ist fast immer am wichtigsten, wie Sie dabei aussehen. Lächeln Sie und winken Sie. Lächeln und winken. Immerzu. Dabei tragen Sie im allerbesten Fall nur noch Designerkleidung aus dem Herkunftsland der Familie Ihres Mannes. Viele Röcke und Kleider, und die bitte immer bis zum Knie. Seien Sie allzeit bereit für den nächsten Gottesdienst! Tragen Sie niemals bedruckte T-Shirts, große Logos oder gar Slogans. Slogans sind wirklich das Allerletzte.

Die große Leere auf dem Markt für Märchenprinzen. Sie tragen von nun an Arbeitskleidung, zivile Uniform, jeden Tag. Und das am besten ohne jeden Raum für Interpretation.Sie sind glatt und glücklich. Wiederholen Sie: glatt und glücklich.
In der Familiengeschichte Ihres Mannes haben die Frauen – Ihre Schwägerin und auch die bereits verstorbene Mutter Ihres Mannes – einen Hang dazu, mit der Zeit immer dünner zu werden. Wer ständig unter Beobachtung steht, dabei aber wenig von sich preisgeben soll, der verschwindet eben auch physisch.

Politisch äußern dürfen Sie sich im Übrigen natürlich nicht. Aber Sie können humanitäre Allgemeinplätze ansprechen, etwa: Aids-Kranke sollten gesellschaftlich nicht ausgegrenzt werden. Und: Mentale Krankheiten sind auch nichts anderes als physische Krankheiten. Ja, die Familie Ihres Freundes wird Sie berühmt machen, allerdings, und das ist verrückt, in dem Moment, in dem Sie die allermeisten Menschen kennen, dürfen Sie am allerwenigsten sagen – oder tun.

Auch eine Scheidung brächte kaum Freiheiten zurück
Die Großmutter Ihres Gatten ist zudem, na ja, etwas neurotisch. So verlangt Sie zu Tisch doch glatt, dass Sie nur dann essen dürfen, wenn auch sie isst. Im Folgenden achtet sie penibel darauf, dass Sie ihre eigene Essgeschwindigkeit nicht über- oder unterschreiten. Der Verzehr von Schalentieren ist in der Familie verboten.

Und wenn Sie jetzt denken, na gut, dann esse ich meine Languste halt heimlich in meinem Zimmer, muss ich Sie bremsen. Daraus wird nichts. Denn Sie sind fortan nie wirklich alleine. Also, Ihr Ehemann ist häufiger mal weg. Ja. Aber Sie haben eben Leibwächter, Butler, Nannys und wenn Sie wollen noch viel mehr Bedienstete. Die Momente, in denen Sie wirklich allein sein werden, werden rar, was aber nicht heißt, dass Sie sich nicht einsam fühlen werden.

Ihrer Schwägerin etwa hat man kurz nach der Hochzeit Trainingsstunden zur Vermeidung von Depressionen und Isolationsgefühlen angedeihen lassen. Alles bloß, um mit der Familie klarzukommen. Denn eine Scheidung sieht man hier nicht so gerne. Die Mutter Ihres Mannes zum Beispiel hat nach der Trennung noch ungeschieden weiter im Hause der Familie gelebt. Auch Sie wird man niemals einfach so gehen lassen. Also, dieses Training können Sie auch haben, wenn Sie wollen.

Aber passen Sie auf, Sie können Ihre Zeit jetzt nicht mehr so richtig frei einteilen, denn Sie haben auf Jahre im Voraus sehr viele Familientermine, die Sie alle wahrnehmen müssen. Ganz egal, ob drei Minuten vorher Ihr bester Freund gestorben ist, Sie wirklich schlimme Kopfschmerzen haben oder gerade eine wichtige Ebay-Auktion ausläuft – die Termine der Familie gehen vor.

Was für Termine? Nun, als Frau sieht man Sie auf öffentlichen Terminen am allerliebsten in der Nähe von Kindern. Kranken Kindern oder Kindern in Grundschulen, die zehn Jahre Gärtnern in der Schule feiern. Sie können auch lustige Tennisaufwärmübungen mit Kindern machen. Die werden dann fotografiert, um von Millionen von Menschen im Internet daraufhin untersucht zu werden, ob unter Ihrer Tenniskleidung nun ein weiteres Kind wächst oder nicht.

Durch die Hochzeit sind Sie nämlich auch Influencer geworden. Allerdings erzählen Sie Ihre Geschichte nicht selbst. Sie teilen sich einen Instagram-Account mit der ganzen Familie. Und Ihre Millionen Follower wollen jetzt eigentlich nur noch sehen, wie Sie schwanger werden.

Sollten Sie unfruchtbar sein, würde das zu einem Skandal, der Sie bis an Ihren letzten Tag heimsuchen wird. Denn die Firma braucht neue Mitarbeiter. Auch wenn speziell Ihre Kinder niemals für höhere Posten infrage kommen. Egal, was Sie machen. Und wenn Sie dann endlich schwanger sind, und das auch sagen, werden die Millionen Follower sich wieder Ihre Fotos anschauen, dieses Mal, um darauf zu beharren, dass sie doch gar keinen Bauch haben. Sie werden der Lüge bezichtigt werden.
Man kann sagen, Sie befinden sich latent im „Shitstorm“.
Egal, was Sie machen.

Stellen Sie sich vor, so etwas Verrücktes gäbe es. Und stellen Sie sich vor, wenn dann der letzte Mann dieser dominanten Familie vergeben wäre, dann würde man nicht in erster Linie sagen, so ein Glück für ihn, dass er in dieser freiheitsliebenden Zeit noch eine gefunden hat, und wie hart im Nehmen die ist, dass sie für die Liebe das alles auf sich nimmt. Die Arme! Die Romantikerin!
Nein, die Menschen wären auch noch neidisch auf sie. Und würden Slogan-T-Shirts drucken, auf denen sie beklagen, dass sie nun nicht mehr darauf hoffen können, die Frau zu sein, die ihre Identität in der Identität dieser Familie auflösen kann.

Und stellen Sie sich vor, keiner würde sich über all das wundern, weil das alles irgendwie Tradition wäre und ach, so schön!
Wäre das nicht irgendwie verrückt?
Wie gut, dass ich mir das alles nur ausgedacht habe.